Kreistagssitzung #2: Erstaunliche Begründungen, warum im Kreistag Bad Kissingen auch im Jahr 2020 alles beim Alten bleiben soll

Zu Anfang einer neuen Wahlperiode geben sich politische Gremien eine Geschäftsordnung, also Regelungen, wie sie in den nächsten Jahren zusammen arbeiten wollen. Das klingt nach drögem Verfahrensrecht. Dass sich daraus auch etwas über das politische Selbstverständnis ablesen lässt, konnte man in der zweiten Sitzung des Kreistags Bad Kissingen lernen.

Die Kreisverwaltung hatte den Vorschlag für eine Geschäftsordnung vorgelegt, der im Wesentlichen die bisher geltenden Regelungen beibehält und sich am Minimum der Mustergeschäftsordnung des Landkreistages orientiert. Diese wurde vorab den Fraktionsvorsitzenden vorgestellt. Unser Fraktionsvorsitzender Johannes Wegner verwies bei diesem Vorabtermin ausdrücklich darauf, dass er den Vorschlag erst mit seiner Fraktion besprechen wolle. Aber auch - wenn er das nicht getan hätte - der Kreistag hat einen Geschäftsordnungsausschuss, dessen nahezu einzige Aufgabe darin besteht, die Geschäftsordnung zu diskutieren. Beschließen kann die Geschäftsordnung nur der Kreistag. Es sollte also selbstverständlich sein, dass die Fraktionen sich ihre eigenen Gedanken über Verbesserungen in der Geschäftsordnung machen und diese einbringen können.

Und so haben es die GRÜNEN im Kreistag auch gemacht: Wir haben uns angeschaut, wie die Geschäftsordnungen anderer Kreistage aussehen, haben die Erfahrungen unserer Kreistagsmitglieder aus den vergangenen Wahlperioden ausgewertet und dann aus einer längeren Liste von Änderungsvorschlägen diejenigen aussortiert, die uns zu kleinteilig erschienen, und den Rest als eigenen Vorschlag eingebracht.

Die wichtigsten Punkte waren uns:

  • Erweiterung der Aufgaben des bisherigen Ausschusses für Wirtschaft und Umwelt um Themen wie Klimaschutz, Elektromobilität, Radverkehr und Verknüpfung des ÖPNV mit anderen Mobilitätsangeboten,

  • Schaffung eines neuen Ausschusses für Soziales und Gesundheit, der sich zum Beispiel um die Pflichtaufgaben des Landkreises im Bereich der stationären Krankenhausversorgung und der Versorgung mit Hebammen, aber auch um ambulante und stationäre Pflege, um die Angelegenheiten von Seniorinnen und Senioren, die Inklusion von Menschen mit Behinderung, die Gleichstellung von Frauen und Männern oder die Integration kümmern sollte,

  • Verwendung geschlechtsneutraler oder männlicher und weiblicher Form in der Geschäftsordnung. Im Vorschlag der Verwaltung besteht der Kreistag nur aus 60 Kreisräten. Kreisrätinnen gibt es nicht, und wo die neutrale Formulierung „Kreistagsmitglieder" in der alten Fassung noch vorkam, sollte sie sogar durch „Kreisräte" ersetzt werden. Auch Kreisbürgerinnen kommen im Jahr 2020 nicht vor, sondern nur Kreisbürger. Frauen – Sie ahnen es – sollen sich jeweils mitgemeint fühlen.

In der nichtöffentlichen Sitzung des Geschäftsordnungsausschusses wurde unser Vorschlag mehrheitlich abgelehnt, im Kreistag haben dann 42 Kreisrätinnen und Kreisräte für den Vorschlag der Verwaltung gestimmt. Immerhin 14 Kreisrätinnen und Kreisräte waren nicht mehr mit der alten Geschäftsordnung einverstanden, darunter Kreisrätinnen und Kreisräte der ÖDP, der Freien Wähler, der Linken und der FDP. Die Kreistagsmitglieder von CSU, SPD und PWG waren geschlossen für den Geschäftsordnungsvorschlag der Verwaltung.

Welche Argumente wurden gegen unsere Vorschläge vorgetragen?

  • Es sei nicht nötig, den Klimaschutz als eigene Aufgabe zu nennen, denn Umweltschutz umfasse Klimaschutz bereits. Auch wurde moniert, dass die Elektromobilität extra aufgeführt werde, andere Antriebe aber nicht. Was soll man dazu sagen? Dass von uns aus auch Wasserstoffantriebe aufgenommen werden können, obwohl es kaum Einwohner*innen gibt, denen das Thema auf den Nägeln brennt, schlicht weil Wasserstofffahrzeuge abgesehen von Zügen derzeit keine Rolle spielen? Dass man das wohl so sehen kann, dass Umweltschutz auch Klimaschutz umfasst, unser Landkreis aber im Jahr 2020 weder über eine Klimaschutzstrategie noch über ein aktuelles Energiekonzept (letzte Information dazu gab es im Februar 2012) noch über einen Plan zur Klimaanpassung verfügt? Dass wir kein zukunftsfähiges Radverkehrskonzept haben?

  • Mit der alten Geschäftsordnung sei man gut gefahren. Um die für den neuen Ausschuss für Soziales und Gesundheit von uns vorgeschlagenen Themen habe man sich auch ohne einen speziellen Ausschuss gekümmert. Das beliebte „Haben wir noch nie so gemacht bzw. haben wir schon immer so gemacht"-Argument. Es ist menschlich verständlich, dass man als langgedientes Kreistagsmitglied jeden neuen Vorschlag als Angriff auf seine Lebensleistung missverstehen kann. Wenn wir darauf Rücksicht nehmen wollten, dürften wir allerdings am besten gar keine Anträge stellen in den nächsten sechs Jahren. Aber dafür sind wir nicht gewählt und deshalb können wir diesen Gefallen schlecht anbieten. Es geht auch gar nicht darum, dass der Kreistag sich um diese Themen in der Vergangenheit nicht gekümmert hat. Sondern darum, dass sie in Zukunft drastisch an Bedeutung gewinnen: Ein Drittel der Bevölkerung des Landkreises ist älter als 65, die Zahl der Pflegebedürftigen wird deutlich zunehmen, eine Studie des Landes bescheinigt Bad Kissingen einen absehbaren Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen, die Hälfte unserer Hausärztinnen und Hausärzte steht vor dem Ruhestand, der Mangel in der Hebammenversorgung ist groß…- die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Dass all diese Fragen dennoch am besten vom Kreisausschuss oder dem Jugendhilfeausschuss miterledigt werden, überzeugt uns GRÜNEnicht. In den allermeisten anderen unterfränkischen Landkreisen sehen das die Kreistage genauso: Dort gibt es nämlich in der Regel einen solchen Ausschuss.

  • Warum wir im Jahr 2020 dabei bleiben sollten, dass in der Geschäftsordnung nur Männer erwähnt werden, hat leider keine und keiner derjenigen begründet, die dafür gestimmt haben. Auch auf unseren Einwand, dass die Geschäftsordnung damit klar dem Gleichstellungskonzept des Landkreises widerspricht, das in der SELBEN Sitzung beschlossen wurde, hat niemand reagiert.

  • Es habe doch unter den Fraktionsvorsitzenden weitgehend Einigkeit bestanden über die Geschäftsordnung. Hinter diesem „Argument“ wird eine gewisse Genervtheit von Widerspruch und Debatte erkennbar. Selbstverständlich entscheidet die Mehrheit (nicht der Fraktionsvorsitzenden, sondern der Kreistagsmitglieder). Aber dass Vorlagen hinterfragt und andere Vorschläge auf den Tisch gelegt werden können – dafür gibt es den Kreistag. Das ist der Sinn der Sache und sollte nicht als schlechtes Benehmen betrachtet werden.

Resümee: Im Kreistag treffen nicht nur unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen von Politik aufeinander, sondern auch unterschiedliche politische Kulturen. Als Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN/Bürger für Umwelt sehen wir Opposition keineswegs als Selbstzweck, auch wenn uns das vielleicht mancher unterstellt. Dementsprechend ist der größte Teil der Vorschläge der Verwaltung in dieser zweiten Sitzung auch mit unserer Zustimmung verabschiedet worden, weil uns die Argumente überzeugt haben, etwa die für eine Erhöhung der Abfallgebühren. Wir machen uns aber die Arbeit, uns mit den Vorlagen auseinander zu setzen, nachzufragen und andere Vorschläge zu unterbreiten, wenn wir es für richtig halten. Wir freuen uns über jede Kollegin und jeden Kollegen, der oder dem diese Sacharbeit und Sachdiskussion genauso Freude bereitet wie uns. Und davon gibt es auch in den anderen Fraktionen viele. Am Ende macht es die Argumente besser, auch die Argumente derjenigen, die am Ende die Abstimmung für sich entscheiden.

Diese Website basiert auf TYPO3 GRÜNE, einem kostenlosen TYPO3-Template für alle Gliederungen von Bündnis 90/Die Grünen