Die Energiewende braucht die Kommunalpolitik

Von Image source: Canty, T., Mascioli, N. R., Smarte, M. D., and Salawitch, R. J.: An empirical model of global climate – Part 1: A critical evaluation of volcanic cooling, Atmos. Chem. Phys., 13, 3997–4031, https://doi.org/10.5194/acp-13-3997-2013, 2013.Original plot: US National Climate Assessment 4.Merging of factors into composite lower panel and common °F scale: User:RCraig09.Translation and °C scale: User:DeWikiMan, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91332086

Klimaschutz drängt. Der Temperaturanstieg unserer Erde nimmt schon heute bedrohliche Ausmaße an und das, während die Menge an Treibhausgasen in Meeren und Atmosphäre weiter zunimmt.

Den mit Abstand größten Einfluss auf die Zunahme von CO2 in Weltmeeren und Atmosphäre hat die Verbrennung fossiler Rohstoffe zur Energiegewinnung. [1]

Da die Energiegewinnung für fast 60% aller Treibhausemissionen verantwortlich ist, ist der wichtigste Schritt, den Klimawandel zu stoppen und damit nicht weniger, als den Planeten bewohnbar zu halten, ein möglich rascher Umstieg auf Erneuerbare Energien. Und das muss schnell gelingen. Nicht in 50 Jahren oder irgendwann. Der CO2-Ausstoß muss weltweit bis 2030 deutlich sinken um unschätzbare Folgen für das Klima noch anzuwenden.

Energie ist mehr als Strom

Die Weltbank schätzt den Pro-Kopf Energieverbrauch in Deutschland (2015) auf 3.817,55 kg [2] Öleinheiten. In kWh umgerechnet sind das etwa 44398 kWh. Neben dem privaten Stromverbrauch, der Energie fürs Heizen und dem Benzin oder Diesel für das Auto hat jede Person einen Anteil am Verbrauch der Landwirtschaft, der Industrie und der öffentlichen Infrastruktur. Alle Nahrungsmittel die wir konsumieren, alle Güter die wir kaufen, alle Dienstleistungen die wir in Anspruch nehmen brauchen in der Regel Energie.

Auch der Landkreis Bad Kissingen ist darauf angewiesen, dass es in der Rhein-Main Region genügend Energie gibt.

Nebenbei ist das auch ein wichtiger Grund warum ich in der aktuellen Debatte in meinem Landkreis über Stromtrassen, das Argument, der Strom würde hauptsächlich in der Region Frankfurt benötigt, für völlig irrelevant halte. In Frankfurt steht zum Beispiel mit dem DE-CiX einer der größten Internetknotenpunkte der Welt. Mit jeder Aktion im Internet, mit jedem gestreamten Film, mit jeder Suche bei Google oder mit jeder Banküberweisung verbrauchen die Menschen aus dem Landkreis Strom in Frankfurt. Auch finanziell profitieren wir davon. Wie oft habe ich in den letzten Jahren gesehen, wie sich die gleichen Landtags- und Bundestagsabgeordneten und Landräte, die betonen, dass der Strom hauptsächlich wo anders gebraucht wird, sich mit ihrem Gesicht neben Schlüsselzuweisungen, Förderbescheiden und anderen Bundes- und Landesmitteln präsentieren, wenn Geld, das in großen Teilen dem Ballungsregionen erwirtschaftet wurde, zu uns fließt.

Die Photovoltaikanlage auf dem Dach deckt nicht mal 6% des Energiebedarfs

Aber nun zurück zum Energieverbrauch. Ich lebe in einem Haus zusammen mit 5 weiteren Personen. Rein rechnerisch brauchen wir also 44398*6=266388 kWh, (266,4 MWh) Energie pro Jahr. Auf unserem Dach haben wir zwei Photovoltaikanlagen. Die haben im letzten Jahr etwa 15000 kWh Strom erzeugt. Da wir weit über 100% unseres privaten Stromverbrauchs damit decken, fällt es leicht den Anteil zu überschätzen; denn es sind nur bescheidenen 5,6% der Enerige, die wir insgesamt verbrauchen.

Damit wird klar: Nur mit Dachflächen-Photovoltaik werden wir die Energiewende nicht stemmen können. Nicht privat, nicht im Landkreis, nicht in Deutschland und auch nicht weltweit.

100% erneuerbare Energie sind machbar und das schnell

Der weltweit anerkannte Hammelburger Energieexperte Hans-Josef Fell hat im letzten Jahr abgeschätzt [3] was notwendig wäre, damit sich unser Landkreis zu 100% aus Erneuerbaren versorgen kann.

Zusammengefasst wäre das Ziel bis 2030:

die Windkraft von 33 auf insgesamt 81 und damit um 245%,
die Dachflächen Photovoltaik (PV) 58MW auf 200MW und damit um 345%,
die Freiflächen Photovoltaik von 36MW auf 413MW und damit um 1147%,
und die Bio-KWK von 3MW auf 81MW und damit um 2700%

zu erhöhen.

Zusätzlich sieht das Szenario den Ausbau der Speicherkapazitäten auf 142 MWh Batteriespeicher, 812 MWh Wärmespeicher und 2.898 MWh Wasserstoffspeicher vor.

In diesem Szenario brauchen wir etwa zweieinhalb mal so viel Windkraft, dreieinhalb mal so viel Dachflächen PV, elfeinhalb mal so viel Freiflächen-PV bis hin zu 27 mal mehr Biomasse-KWK. Ein Speichersystem müssen wir nahezu von null aufbauen.

Mit diesen Zahlen vor Augen wirkt auf mich die Debatte, ob wir in Hammelburg die gesamte Dachfläche des neuen Bauhofs für Photovoltaik nutzen sollten, ziemlich schräg.

Ein Umstieg zahl sich finanziell aus.

Wichtig dabei ist uns auch die Chance vor Augen zu halten. Statt viele Millionen Euro jedes Jahr an Ölscheichs zu zahlen und die Zerstörung von Natur durch Fracking oder den Bau von Gaspipelines durch Autokraten zu finanzieren, könnte der Landkreis den Abfluss von jährlich 350 Millionen Euro Kaufkraft verhindern.

Energiesparen und Energieeffizienz

Windkraftanlagen, Freiflächen-Photovoltaik, Stromleitungen oder auch Erdkabel beeinflussen die Natur. Die beste Energie ist vor, während und nach einem Umstieg auf Erneuerbare Energien die, die wir gar nicht verbrauchen. Jede Kilowattstunde die wir nicht verbrauchen, erspart Investitionen und schützt die Natur.

Schauen wir dazu mal die Zahlen an. Die EU hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 die Energieeffizienz um etwa ein Drittel zu steigern [4]. Unter dieser Annahme bräuchten wir dann statt 48 neuer Beispielsweise nur noch 32 Windkraftanlagen. Das ist eine Menge, zeigt aber auch, dass wir mit Energiesparen alleine nicht mit Energieerzeugung auf Dachflächen auskommen werden.

Das verdeutlicht auch ein Blick auf die Zahlen einer einzelnen Person. In meinem Haushalt decken wir 5,6% unseres (statistischen) Primärenergieverbrauchs durch eine Photovoltaikanlage. Wir müssten unseren Energieverbrauch also ungefähr um den Faktor 18 senken, um ihn alleine über die Dachfläche bereitzustellen. Das wäre 54 mal so viel (18/0,3) wie das Ziel der EU. Oder um es etwas plastischer zu machen: Ein Benzinauto mit 8 Liter pro 100 km braucht 8L*8,5kWh/L = 68 kWh Energie. Ein VW ID.3 braucht (gemessen vom ADAC) etwas 20kWh pro100km. Also etwas weniger als ein Drittel. Eine Person, die heute 10000 km im Jahr in individuellem motorisiertem Personenverkehr zurücklegt, kann durch den Umstieg auf E-Mobilität also mit einem drittel des Energieaufwands die gleiche Strecke zurücklegen. Um auf den Faktor 18 zu kommen, fehlen aber noch immer der Faktor 6. Es blieben dann rechnerisch 1666 km übrig, wenn ein Umstieg auf Erneuerbare Energien alleine mit Dachflächen-Photovoltaik zu stemmen wäre. Realistisch wäre sogar weniger, da in anderen Lebensbereichen Effizienzsteigerungen von mehr als 60% ziemlich unrealistisch sind.

Maßnahmen zum Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen.

Vielen Menschen hat die Corona-Krise vor Augen geführt, dass wir mit der Natur nicht verhandeln können. Wenn wir unseren Planeten auch in 100 Jahren noch bewohnbar sehen wollen, müssen wir jetzt handeln und zwar entschieden. Eine zentrale Aufgabe der Politik sehe ich darin, die Maßnahmen nicht gegeneinander auszuspielen. Es hilft nichts, einzelne Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen. Wir dürfen mit dem Verweis auf das Energiesparen nicht auf den Bau von Windrädern verzichten. Auch ein E-Auto braucht Platz, Straßen und verursacht Emissionen. Alternativen zum individuellem motorisiertem Verkehr müssen wir auch in einer elektromobilen Zeit finden.
Wir müssen der Natur in großen Stil Raum zurückgeben und CO2 in Wäldern und Mooren speichern. Wir werden auch lernen müssen, dass unser Lebensstil nicht mit immer mehr Wachstum einhergehen kann.
Wenn wir aber jetzt die richtigen Entscheidungen konsequent umsetzen, bin ich überzeugt, dass wir Wohlstand und Nachhaltigkeit verbinden können. Die Verantwortung dafür fängt bei uns vor Ort an. Was nicht reichen wird ist die Eigenverantwortung einzelner Menschen oder Familien. Einzelne Menschen können Energie sparen indem sie sich einschränken, aber zum Beispiel keinen ÖPNV organisieren.

[1] https://www.pv-magazine.de/2019/09/04/neue-analyse-fossile-energien-sind-fuer-den-loewenanteil-aller-treibhausgasemissionen-verantwortlich/

[2] www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/Tabellen/Basistabelle_PrimaerEnergieVerbrauch.html

[3] https://hans-josef-fell.de/100-erneuerbare-energien-im-landkreis-bad-kissingen/

[4] ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2030_de

 

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